Oft hören wir, dass es im privaten, wie im Unternehmensalltag, zwei Felder gibt, denen wir in unterschiedlichem Verhältnis unsere Zeit und Ressourcen widmen: Abenteuer/ Innovation und Alltag/Tagesgeschäft. Veränderung/weiße Landkarten und Routine/klare Prozesse. Dann folgt die rhetorische Frage: Wenn wir einen Leader und einen Manager zur Verfügung hätten, die wir für die Organisation dieser beiden Felder zuteilen müssten – welcher der beiden Führungstypen wäre wahrscheinlich besser geeignet für welches Feld?
Schon in den 80er und 90er Jahren wurde der Unterschied zwischen “Leadership” und “Management” in den Führungsetagen beobachtet und herausgearbeitet (v.a. Tom Peters, John Kotter).
Seither wurde schier unendlich viel erdacht und veröffentlicht, das den Unterschied und die jeweils damit verbundenen Aufgaben darstellen bzw. den jeweiligen Typus charakterisieren soll (googeln Sie die Begriffe leadership vs management finden Sie ca. 3,8 Mrd. Treffer). Im Wesentlichen wird meist diese Unterscheidung getroffen:
Leader → Visionen schaffen. Verändern. Entwickeln.
Manager → Planen. Organisieren. Verwalten.
Darunter ergeben sich dann jeweils weitere Teilaspekte und Aufgaben in Unternehmensbereichen wie Organisation, Personal, Finanzen, Forschung/Innovation, Produktion etc. für die Leader und Manager Verantwortung übernehmen.
In jedem “normalen” Unternehmen wird es mit größter Wahrscheinlichkeit beider Typen bedürfen. Aber worauf sollte der Fokus liegen? Wann bringt welcher Typus bessere Ergebnisse? Wir wollen einige Aspekte aus unserem Erfahrungsschatz beleuchten, die helfen sollen, das klarer einzuordnen.
Den Beginn machen wir mit der Frage nach der Challenge:
Adaptive Herausforderungen (Leader) vs. technische Probleme (Manager)
Um mit den richtigen Methoden zu arbeiten bzw. die richtigen Mitarbeiter einzusetzen, ist es wichtig das Problem zu verstehen, das gelöst werden soll. Einen sehr guten Ansatz für die Problemanalyse liefert Professor Ronald Heifetz (John F. Kennedy School of Government, Harvard University), der das Konzept der “adaptiven Herausforderungen” formuliert hat. Die korrekte Analyse ist der Schlüssel. Handelt es sich um ein “technisches Problem” oder eine so genannte “adaptive challenge”?
“Technische Probleme” sind in diesem Verständnis Aufgaben, die in der Vergangenheit bereits gelöst wurden und für die eigenes Know-How vorhanden ist oder die über existierende alternative/externe Lösungswege angegangen werden können. Wir besitzen also die Kapazitäten und Mittel, diese Aufgabenstellung anzugehen. Es bedeutet nicht, dass es sich dabei um einfache Aufgaben oder kleine Probleme handelt. Um zur Lösung zu gelangen, müssen ggf. komplizierte Prozeduren durchlaufen werden, mehrere Lösungsstrategien miteinander gekoppelt werden, größte Sorgfalt an den Tag gelegt oder schnelles Reaktionsvermögen gezeigt werden. Der Schlüssel-Indikator ist, dass ein Lösungsweg existiert, so dass wir mit der Lösung beginnen können, wenn sich die Aufgabe stellt. Der Manager-Typus ist für diese Art von Aufgabenstellung geeignet.
“Adaptive Herausforderungen” stellen dagegen Aufgaben dar, die bisher noch nicht gelöst wurden – es handelt sich um neue Probleme ohne existierenden und erprobten Lösungsweg. Etwas, das uns zu “Innovation” zwingt, zur Anpassung bzw. Veränderung von bestehenden Ansätzen oder Denkmustern – oft auch mit Druck von Außen. In vielen Fällen bringen “adaptive Herausforderungen” die Notwendigkeit mit sich, Erlerntes aufzugeben und loszulassen. Der Schlüssel-Indikator ist, dass die Aufgabe nicht (vollständig) mit existierenden Lösungswegen bearbeitet werden kann, dass eine (Wissens-/Fähigkeiten/-Kapazitäten-)”Lücke” existiert und ein Innovations-/Veränderungsprozess notwendig ist, um die Aufgabe zu lösen. Der Leader-Typus ist für diese Art von Aufgabenstellung geeignet.
Die “technischen Probleme” von heute können dabei die “adaptiven Herausforderungen” sein, die es gestern zu lösen galt und dazu geführt haben, dass wir passende Lösungswege gefunden und die entsprechenden Lösungskapazitäten aufgebaut bzw. Veränderungen durchgeführt haben.
Aber dorthin zu kommen ist ein entscheidender Schritt. Und an dieser Stelle wird deutlich warum es so wichtig ist, erstens, das Problem richtig einzuschätzen (technisch vs. adaptiv) und zweitens, den richtigen Führungstypus einzusetzen:
Ein Manager, der eine “adaptive Herausforderung” mit den Mitteln und Wegen der “technischen Probleme” zu lösen versucht wird kein optimales Ergebnis produzieren können, oder ganz scheitern, wenn Innovations- und Veränderungskraft eines Leaders notwendig sind. Vielleicht lag die adaptive Herausforderung hinter einem allzu offensichtlichen technischen Problem versteckt und die Einschätzung war daher inkorrekt (Zeit nehmen bei der Analyse!). Vielleicht erkennt der Manager die Notwendigkeit dazu sehr wohl, aber möchte schlicht nicht aus der Komfortzone kommen und wird sich somit nicht zum Leader entwickeln (ehrliche (Selbst-)Einschätzung der eigenen Kapazitäten treffen!).
Und selbst wenn das Problem richtig eingeschätzt und mit dem passenden Personal und Ansätzen angegangen wird, ist der Erfolg nicht garantiert: Wenn es notwendig ist, neue Wege zu beschreiten und sich zu verändern um die Aufgabe lösen zu können, dann entsteht Reibung – im schlimmsten Fall offener Widerstand. Etwa beim Team (das Gewohnheiten aufgeben soll, bewährte Lösungswege in Frage stellen soll). Oder in der Organisation (die keine Regeln für diesen Fall definiert hat, formale Grenzen überschreiten muss). Das ist der Grund dafür, warum es bei “adaptiven Herausforderungen”, wie sie in agilen Projekten, bei disruptiven Produktentwicklungen etc., Leader-Qualitäten braucht – jemanden der in der Lage und willens ist, Pionierarbeit zu leisten und den langen Atem dafür hat.