Die besinnliche Weihnachtszeit lässt auch etwas Raum um Liegengebliebenes nachzuholen… so bin ich in meinem “to-review”-Stapel auf eine Podiumsdiskussion des letzten Jahres gestoßen: Auf der World Artificial Intelligence Conference (WAIC), Shanghai, 2019, diskutierten Jack Ma (Alibaba Group) und Elon Musk (ex-Paypal, Tesla, SpaceX, Boring Company, Neuralink). Und dahinter verbirgt sich wahrlich ein “Battle of Perspectives”.
Es ist nicht leicht zu verdauen. Es ist irritierend. Es ist nerdig. Aber mir hat es Spaß gemacht und es hat sich am Ende doch gelohnt, wie ich finde:
Wer Interesse hat, das ganze Gespräch mitzulesen/nachzulesen: Hier ein vollständiges Transkript (englisch):
Wer sich Zeit sparen will, hier ein “Summary”: Auf der großen Bühne zeigen die beiden Tech-Mogule neben Animositäten und einigen seltsamen Theorien ihre Auffassung über das Leben, das Universum und den ganzen Rest (ja, buchstäblich). Und es stellt sich heraus, dass Jack Ma und Elon Musk in dieser Hinsicht in völlig unterschiedlichen Welten leben.
Für mich war das, ehrlich gesagt, eine kleine Überraschung. Ich hätte die Beiden als weit ähnlicher eingeschätzt in Bezug auf ihre Standpunkte. Die zwei grundlegenden Weltanschauungen lassen sich unter anderem anhand dieser Aussagen gut charakterisieren:
“I would recommend studying engineering, physics or that kind of thing. […] Try to learn as much as possible that allows you to predict the future or make the future.” Elon Musk
“It is from the heart the wisdom comes from. […] I want to spend more time training kids on art, painting, singing and dancing. These creative things make people live like humans.” Jack Ma
Doch es kommen noch mehr Unterschiede zum Vorschein – und das ist spannend! Denn gerade was ihre Strategien in Bezug auf die Produktentwicklung angeht offenbaren sich zwei “Kulturen”. Schauen wir uns die strategischen Ansätze an sehen wir, dass die Unternehmer ihre Firmen nach ihren Weltbildern geformt haben und dabei ganz unterschiedlich vorgehen.
Elon Musk über sein Verständnis für die Zielbilder als (Tech-)Unternehmer:
If there was a topological map of technology awareness, it’s mostly flat with a few short buildings – and then some very tall spires. And unless you’re on that very tall spire, it’s not obvious what the topology is.
…und seine inhaltlichen und zeitlichen Fokus (bezogen auf SpaceX, Neuralink):
Considering the universe is 13.8 billion years old […] if civilization lasted for a million years, we would only increment the 3rd decimal point after 13.8 billion years.
It’s important for us to take the set of actions that are most likely to continue [human] consciousness into the future. […] One of those actions is to become a multi planet species or ensure that life is multiplanetary.
Für Elon Musk geht es um “die großen Würfe” oder “Moonshots” in der Google-Terminologie. Zeitlich werden die Ziele von ihm (ultra-)langfristig gesteckt. Inhaltlich dreht es sich bei seinen Produkten um das Lösen von Problemstellungen mit globaler Natur (oder darüber hinaus), für die es oftmals noch keine Blueprints gibt. Er fokussiert dabei gezielt auf Domänen / Märkte, die bisher kommerziell nicht erschlossen sind – oder versucht eingespielte Märkte aufzumischen. Die Risiken, die er einzugehen bereit ist, sind gigantisch.
Dagegen Jack Ma über seine “Problemräume”:
I never worry about the things that I cannot solve. I let other people solve [those]. If nobody can solve it: Just let it be. That’s my life.
…und den inhaltlichen und zeitlichen Fokus:
We need heroes like you. But we need more heroes like us, working hard on the earth, improving things every day. That’s what I want.
It’s so difficult to secure the future of the earth, but we can secure the future of the next 100 years. I admire your courage for exploring Mars, but I admire a lot of people spending efforts on improving the Earth.
Für Jack Ma geht es darum in allen Belangen “besser zu werden”. Zeitlich sieht er einen Horizont der nächsten 100 Jahre als betrachtenswert. Inhaltlich setzt er für seine Firmenwelt auf Fragen, die nach aktuellem Wissensstand auch eine Chance haben, gelöst werden zu können. Er fokussiert dabei auf Domänen / Märkte, die unsere heutige Gesellschaft wiederspiegeln und konzentriert sich darauf, diese auszubauen. Dabei geht er eher moderate Risiken ein.
Man könnte sagen: Hier sprechen ein Entrepreneur und ein Investor. Sehr wahrscheinlich spiegelt das auch die jeweilige Gesellschaftsstruktur wieder, aus der die beiden Führungspersönlichkeiten stammen – und deren sozio-ökonomische Prägung. In jedem Fall spiegelt es sich in den Unternehmen, die die beiden verkörpern bzw. den Produkten, an denen sie arbeiten.
Die beiden hier gezeigten grundsätzlichen strategischen Ausrichtungen bei der Produktentwicklung hat Clayton M. Christensen bereits 1997 in seinem Standardwerk “The Innovator´s Dilemma” als disruptiv und evolutionär unterschieden. In seiner Konsequenz kann man den evolutionären Verbesserungs-Ansatz auch als “horizontal” oder “extrem” bezeichnen. Zudem kann eine weitere Ausrichtung darunter ergänzt werden: “vertikal” oder “radikal”. Für jedes Zielbild gibt es den passenden Weg, mit den passenden Methoden und Werkzeugen, der die entsprechenden Ergebnisse produziert. Welcher Weg “besser” ist, hängt vom Zielbild ab. Wie wir sehen, sind beide Unternehmer auf ihren Wegen erfolgreich.