Zwei Tage gemeinsam gegen die Einsamkeit? An der Universität Ulm hat Johannes Rein ein interessantes Projekt betreut: Vier Studierende haben sich zusammengefunden, um eine Lösung für ein wachsendes Problem zu finden, die Einsamkeit. Unter dem Arbeitstitel „Campus 2027 – Wie eine Plattform das studentische Miteinander revolutionierte“ haben sie nach dem Vorgehensmodell des Design Thinking in nur zwei Workshoptagen einen Figma-Prototypen gebaut, also die interaktive Simulation einer App.
Jeder kennt sie zumindest ein bisschen. Selbst gewählt, in den richtigen Mengen, genießt man sie sogar manchmal ganz gerne, sucht sie, sehnt sich nach ihr. Aber meist kommt sie einfach so, schleichend, ungewollt. Nicht in herrlichen Landschaften, auf Gipfeln oder wilden Flüssen. Sie versteckt sich zwischen unzähligen Followern und Likes, sie sitzt in vollen Straßenbahnen, steht im Supermarkt an der Kasse, schwebt über dem Campus von Universitäten. Einsamkeit ist ein großes gesellschaftliches Problem. Es ist nicht schön, sich alleingelassen zu fühlen, und es ist nicht gesund. Vielleicht sogar ungesünder als Rauchen oder Übergewicht – vielleicht kommt auch das eine zum anderen.
„Menschen, die chronisch einsam sind, haben eine geringere Lebenserwartung. Sie erkranken häufiger an Depressionen, an Demenz, an Herz-Kreislauf-Problemen. Einsamkeit fördert Entzündungsprozesse im Körper. Und nur zum Vergleich: Chronische Einsamkeit kann schädlicher sein als Übergewicht, schädlicher als Rauchen, wenn es um die Lebenserwartung geht. Schädlicher als fünfzehn Zigaretten am Tag.“
(SZ: 8.5.2025)
Es gibt ein Bewusstsein für das Problem. Das Bundesfamilienministerium hat im Jahr 2025 ein neues Programm vorgestellt, in dem Projekte gegen Einsamkeit mit drei Millionen Euro gefördert werden. Ein Einsamkeitsbarometer wurde erstellt und ist online Abrufbar, Hotline-Nummern wurden eingerichtet, es gab Aktionswochen, Vorträge und Mahnungen, dass die Demokratie gefährdet sei, wenn die Gesellschaft vereinsamt. Man wird das Gefühl nicht los, dass es mal wieder um die Einsamen ging und über die Einsamen – aber mit den Einsamen selbst hat man nicht gesprochen. Was brauchen sie, was wünschen sie sich, was fehlt ihnen für die richtigen Schritte aus der Einsamkeit heraus?
Zahlen vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zeigen, dass sich 44 Prozent der 19- bis 29-Jährigen zumindest teilweise einsam fühlen.Nach einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung vom März 2024 fühlen sich sogar 46% der16 bis 30 Jährigen einsam.
Mit den Betroffenen haben die vier Studenten der Universität Ulm gesprochen. Denn auch in der Studienzeit – die in den Köpfen oft mit Partys und Geselligkeit verbunden wird – ist Einsamkeit ein alltägliches Phänomen. Aber warum fühlen sich junge Menschen heute einsamer als früher? Dieser Frage sind die Studierenden in ihren Interviews nachgegangen und haben in einem Kreativitätsprozess Lösungen erarbeitet. Auf dieser Grundlage haben sie in nur zwei Tagen einen ersten Figma Prototyp für eine hybride Community-Plattform entwickelt und sich ausgemalt, wie sich das Studentenleben durch ihre Ideen verändern wird.
Ein Blick in die Zukunft – die Welt der Studierenden im Sommer 2027
Ein normaler Mittwoch im Juni 2027, die Gebäude werfen bereits lange Schatten auf den Rasen zwischen den Fachbereichen. Man lacht viel auf dem Campus der Universität Ulm, trinkt Kaffee, es wird viel geplant, besprochen und ausgemacht. Wie geht es mit den Projektarbeiten weiter, wo findet die Lerngruppe statt, wann beginnt der Themenspaziergang durch Ulm, eine kleine Feier, das interkulturelle gemeinsame Kochen, Lyrik-Kreis, Sprach-Tandem, Kletterpartner, Chor und verschiedenste andere Dinge. Eines haben alle diese Aktivitäten jedoch gemeinsam: Ihren Anfang haben sie auf einer hybriden Community-Plattform gefunden, die mittlerweile deutschlandweit fester Bestandteil des studentischen Alltags an Hochschulen geworden ist.
Vor wenigen Jahren als Antwort auf die wachsende soziale Vereinsamung junger Menschen ins Leben gerufen, hat sie sich zur meistgenutzten studentischen Vernetzungsplattform entwickelt. Mit nur wenigen Klicks finden Studierende hier Menschen mit ähnlichen Interessen, Studienrichtungen oder auch ganz anderen Hintergründen – um gemeinsam zu lernen, Sport zu treiben oder um einfach bei einem Spaziergang ins Gespräch zu kommen. Hochschulen bewerben den Service auf ihren Einführungsveranstaltungen und binden ihn gezielt in psychologische Beratungsangebote sowie Orientierungsprogramme ein. Die Plattform wirkt weit über das Digitale hinaus: Sie fördert einfaches (niedrigschwelliges) Kennenlernen, erlaubt spontane Treffen in realen Gruppenräumen oder Cafés und neue Formate für Begegnungen hervorgebracht – ob beim „Open Library Walk“ oder interkulturellen Kochtreffen. Insbesondere für die jüngeren Studierenden hat sich das digitale Tool zu einem lebensnahen Anker entwickelt – und ist ein so selbstverständlicher Teil des Studentenlebens, wie das Vorlesungsverzeichnis und die Wohnungssuche.
Unglaublich!
Wie schnell sich das neue Netzwerk-Format nicht nur technisch durchgesetzt hat, sondern emotional Wirkung zeigte. Schon nach einem Semester war die Community präsenter als erwartet: Freundschaften entstehen hier nicht trotz, sondern gerade wegen strukturierter digitaler Angebote. Überfachliche Veranstaltungen und gezielte Peer-Gruppen bilden das Fundament für neue, ehrliche Beziehungen.
Der Versuch, soziale Isolation frühzeitig abzufangen, ist gelungen – die Plattform wurde zur Brücke, nicht zur Mauer. Erstaunlich war zudem, wie akzeptiert und selbstverständlich solche Tools inzwischen geworden sind. Wo früher Zurückhaltung gegenüber „sozialem Matching“ herrschte, hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass digitale Formate soziale Prozesse nicht ersetzen, sondern ermöglichen können – wenn sie intelligent gestaltet werden.
Rückwärts Staunen!
Wie vielen jungen Menschen es nur an dem „ersten Schritt“ fehlte! Die Plattform liefert diesen Schritt in Form kurzer, strukturierter Vorschläge: „Triff dich mit XY zu einem thematischen Spaziergang“ oder „Nimm an einer offenen Lerngruppe zum Thema Nachhaltigkeit teil“. Was früher Überwindung kostete, ist heute Teil einer offenen, freundlichen Campus-Kultur geworden. Erstaunlich ist auch die Vielfalt und Tiefe der gefundenen Verbindungen. Viele der heute existierenden Lerngruppen, Projekt-Teams und Freizeitgemeinschaften fanden ihren Anfang über die Plattform. Besonders ermutigend: Die Technologie hilft, soziale und kulturelle Barrieren zu überwinden. Internationale Studierende berichten davon, wie viel leichter ihnen der Einstieg fiel – sie wurden gezielt einbezogen, fanden Sprach-Tandems oder gemeinsame interkulturelle Initiativen. Wenn wir zurückblicken, erkennen wir: Das studierende Leben hat einen nachhaltigen Wandel erfahren. Nicht durch mehr Individualisierung, sondern durch das bewusste Fördern von Begegnung und Gemeinschaft. Und das, so zeigt sich jetzt, war nicht nur dringend notwendig – sondern auch erstaunlich einfach.
