Manchmal beginnt sie unbemerkt. Ein Gedanke, ein Ziel, ein innerer Funke. Wir spüren Energie, Tatkraft – das Gefühl, etwas bewirken zu können. Doch woher kommt sie, diese geheimnisvolle Kraft, die Menschen morgens aufstehen lässt, sie Neues lernen, Hindernisse überwinden, Berge versetzen lässt?
Motivation – das Wort klingt so alltäglich, und doch ist es eine der komplexesten Kräfte menschlichen Handelns.
Was ist Motivation überhaupt?
Motivation bedeutet wörtlich: Beweggrund. Sie beschreibt den inneren Zustand, der Verhalten antreibt, Richtung gibt und Energie freisetzt. Ohne Motivation keine Handlung, ohne Handlung kein Fortschritt.
In der modernen Psychologie sprechen wir von Motiven — also individuellen Gründen, etwas zu tun. Wie das Motivationsrad aus der Neue Narrative (Nr. 24, 2025) zeigt, sind diese Antriebskräfte vielfältig: Leistung, Macht, Zugehörigkeit, Sinn, Spaß, Anerkennung, Verantwortung oder persönliches Wachstum. Das Rad hilft, persönliche Präferenzen sichtbar zu machen und zu verstehen, welche Motive in der konkreten Arbeit wirksam werden.
Bereits die Bhagavad Gita bringt eine tiefe Einsicht: Śhraddhā – das, was im Herzen liegt. Eknath Easwaran übersetzt Śhraddhā weiter als die Summe unserer inneren Haltungen — Überzeugungen, Werte, Glaubenssätze, Vorurteile und Grundannahmen, die unsere Wahrnehmung färben und unser Denken lenken. Anders gesagt: Was wir glauben, wird zu dem, was wir tun. Motivation im wissenschaftlichen Sinn ist damit die sichtbare Bewegung, die aus dieser unsichtbaren inneren Haltung erwächst.
Wichtig ist: Śhraddhā ist moralisch neutral. Eine starke innere Überzeugung kann zu großartigem, sinnstiftendem Handeln führen — oder zu zerstörerischem Verhalten. Historisch und aktuell gibt es Beispiele zuhauf: Menschen handeln aus tiefem Glauben oder Pflichtgefühl — und das Ergebnis kann Gutes wie Schlechtes sein. Du kannst genauso motiviert sein, ein soziales Projekt aufzubauen, wie du motiviert sein kannst, Waffen zu bauen, wenn du glaubst, das diene einem höheren Ziel. Motivation liefert Energie und Zielrichtung — aber nicht automatisch moralische Richtigkeit.
Das moderne Motivationsverständnis in der Wissenschaft beschreibt Daniel Pink in „Drive – Was Sie wirklich motiviert“ (2010): drei zentrale Elemente, die genau diesen inneren Kompass abbilden:
- Autonomie – das Bedürfnis, selbstbestimmt handeln zu können.
- Meisterschaft – das Streben, in dem, was wir tun, besser zu werden.
- Sinn – das Empfinden, Teil von etwas Bedeutungsvollem zu sein.
Diese drei Faktoren bilden den Gegenpol zu extrinsischen Motivationssystemen wie Belohnung und Bestrafung. Pink zeigt: Äußere Anreize, wie Belohnung und Bestrafung, motivieren kurzfristig – innere Überzeugungen langfristig. Motivation ist damit kein „Trick“, sondern eine Haltung.
Zusammengenommen zeigen die Perspektiven: Jeder kann sich letztlich nur selbst hinterfragen und motivieren. Führungskräfte können bestenfalls den Rahmen dafür schaffen. Sie sollten nicht nur danach fragen, ob die Energie vorhanden ist, sondern auch wofür sie eingesetzt werden soll.
Deshalb ist ethische Reflexion zentral: Organisationen, Führungskräfte und Coaches sollten Systeme schaffen, die nicht nur Motivation fördern, sondern auch die Richtung dieser Motivation hinterfragen und ausrichten. Methoden dafür sind Wertearbeit, ethische Guidelines, Diversity-Checks (um einseitige Weltanschauungen zu vermeiden) und kontinuierliche Reflexionsräume, die verhindern, dass starke innere Überzeugungen ungeprüft in schädliches Handeln münden. Das Motivationsrad kann dabei helfen, nicht nur Motivationsstärke zu messen, sondern auch zu prüfen, welche Werte und Annahmen hinter den Motiven stehen — und ob diese mit den ethischen Standards einer Organisation vereinbar sind.
Wie motiviert sind wir wirklich? – Ein Blick in die Zahlen
Laut der aktuellen Gallup-Studie 2024 sind in Deutschland:
- 14 % der Beschäftigten hoch motiviert und emotional an ihr Unternehmen gebunden,
- 67 % machen „Dienst nach Vorschrift“ – also funktional, aber ohne inneres Engagement,
- 19 % sind demotiviert und haben innerlich gekündigt .
Diese 14 % Leistungsträger bringen laut Gallup bis zu 20 % mehr Produktivität als der Durchschnitt. Umgekehrt verursachen demotivierte Mitarbeitende enorme Folgekosten – durch Fluktuation, Fehlzeiten und Innovationsverlust.
Motivation nach Branchen
Die Unterschiede sind deutlich:
- In der Softwareentwicklung zeigen sich ca. 14 % hochmotivierte Mitarbeiter,
- im Maschinenbau und Handwerk ähnlich,
- in der Care-Arbeit liegt die Motivation niedriger – teils unter 10 %,
- Pharma & Chemie schneiden im Vergleich leicht besser ab (bis 55 % moderate Bindung) .
Insgesamt ruft die Mehrheit der Beschäftigten nur 50–70 % ihres Potenzials ab – eine stille Reserve, die weniger von Fähigkeit als von Motivation abhängt.
Warum ist Motivation so wichtig?
Motivation ist kein „Nice-to-have“. Sie ist die Währung moderner Arbeit. McKinsey hat bereits 2020 gezeigt, dass Unternehmen mit engagierten Mitarbeitenden bis zu 21 % höhere Rentabilität erreichen. Doch über Zahlen hinaus geht es um mehr: Motivierte Menschen entwickeln Ideen, übernehmen Verantwortung, bleiben gesund, lernen schneller. Sie verbinden sich emotional mit ihrer Aufgabe – und geben damit Organisationen Seele und Richtung.
Das Motivationsrad erinnert uns: Motivation ist nie gleich. Sie entsteht aus dem Zusammenspiel unserer Motive – individuell, wandelbar, lebendig. Nur wer diese Vielfalt versteht, kann sie kultivieren.
Die Schattenseite – Kann Motivation schädlich sein?
Zu viel Motivation? Das klingt paradox, ist aber real. Übersteigerter Leistungsdrang, permanentes „Mehr“, ständige Selbstoptimierung – sie können kippen. Wenn intrinsische Leidenschaft in Perfektionismus mündet, droht Burn-out.
Studien zeigen, dass besonders hoch engagierte Menschen gefährdet sind, ihre Energie zu überschreiten – oft, weil sie keine Grenzen setzen. Motivation wird dann zur Falle: der Drang, alles zu geben, lässt keinen Raum zum Regenerieren. Hier gilt: Motivation braucht Balance. Sie sollte inspirieren, nicht antreiben. Fördern, nicht verzehren.
Das Motivationsrad bietet hier ein wertvolles Werkzeug – es macht sichtbar, welche Motive über- oder unterrepräsentiert sind. Wer regelmäßig reflektiert, erkennt, wann Motivation kippt – und wo neue Energiequellen warten.
Motivation verstehen, gestalten und erhalten
1. Reflektiere regelmäßig
Das Motivationsrad kann als persönlicher Kompass dienen. Welche Motive treiben dich – und welche bleiben unerfüllt? Wiederholung schafft Bewusstsein und schützt vor Erschöpfung.
2. Fördere intrinsische Motivation
Schaffe Räume für Autonomie, Sinn und Entwicklung. Belohnungssysteme ersetzen nicht das Gefühl, gebraucht und gesehen zu werden.
3. Führung als „Servant Leadership“
Führungskräfte motivieren nicht – sie schaffen Rahmenbedingungen, in denen Motivation wachsen kann. Vertrauen, Transparenz und Feedback sind ihre Werkzeuge.
4. Akzeptiere Unterschiede
Menschen motivieren sich unterschiedlich. Für den einen ist Anerkennung zentral, für die andere Sinn. Gute Teams nutzen diese Vielfalt, statt sie zu nivellieren.
5. Motivation ≠ Dauerfeuer
Motivation ist zyklisch. Es gibt Phasen des Hochs und des Rückzugs – beides gehört dazu. Nachhaltige Motivation entsteht im Rhythmus, nicht im Dauerlauf.
Fazit: Die Kunst der inneren Bewegung
Motivation ist kein Dauerzustand, kein Zaubertrick. Sie ist Bewegung – ein Pendel zwischen Antrieb und Ruhe. Sie entsteht, wenn Menschen sich gesehen, befähigt und verbunden fühlen.
Oder, wie es Daniel Pink formuliert:
„Menschen wollen nicht gemanagt werden. Sie wollen sich selbst managen.“
Wenn Organisationen das verstehen, entsteht nicht nur Leistung – sondern Leidenschaft. Und vielleicht ist das die größte Motivation überhaupt: das Gefühl, Teil von etwas Sinnvollem zu sein





